Gerichtsurteile im Detail

 
11. JULI 2002
Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs zu elektronischen Pressespiegeln
Für Unternehmen, die umfangreiche Intranets betreiben und darin auch einen elektronischen Pressespiegel vorhalten, dürfte die folgende Entscheidung des Bundesgerichtshofs interessant sein. Der u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH hat letztinstanzlich die urheberrechtliche Streitfrage entschieden, ob elektronische Pressespiegel genauso wie herkömmliche Pressespiegel auch ohne Zustimmung des Urhebers erstellt und verbreitet werden können.

Der Entscheidung lag ein Streit zwischen der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) und dem Verlagshaus der Berliner Zeitung zu Grunde. Die Verwertungsgesellschaft Wort nimmt für die Wortautoren Rechte wahr, die vom einzelnen Urheber aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht geltend gemacht werden können. Hierzu zählt auch die Vergütung für Pressespiegel, also für die in Unternehmen oder Behörden erstellten und verbreiteten Zusammenstellungen von Zeitungsartikeln über aktuelle Tagesereignisse. Der Wortlaut des in diesem Punkt nicht eindeutigen Urheberrechtsgesetzes wird seit jeher überwiegend so verstanden, daß derartige Pressespiegel ohne Zustimmung der Urheber, deren Artikel kopiert werden, zulässig sind. Jedoch muss für diese Nutzung eine Vergütung gezahlt werden, die die Verwertungsgesellschaft Wort einzieht und unter den Journalisten verteilt, deren Artikel in Pressespiegeln verwendet werden.

Seit langem ist streitig, ob dieses sogenannte Pressespiegelprivileg sich auch auf elektronische Pressespiegel bezieht, die durch Einscannen der fraglichen Zeitungsartikel erstellt und sodann elektronisch übermittelt werden. Die Verwertungsgesellschaft Wort steht dabei auf dem Standpunkt, das gesetzliche Privileg umfasse auch die elektronische Form der Zusammenstellungen, die immer mehr an die Stelle herkömmlicher Pressespiegel träten. Sie beansprucht für sich das Recht, die gesetzliche Vergütung einzuziehen. Dementsprechend hatte sie auch mit einem Frankfurter Unternehmen einen Rahmenvertrag über einen solchen per E-Mail zu übermittelnden Pressespiegel geschlossen. Demgegenüber stehen die Zeitungsverleger auf dem Standpunkt, das Pressespiegelprivileg beziehe sich nicht auf elektronische Pressespiegel. Im konkreten Fall hat die Berliner Zeitung die Verwertungsgesellschaft Wort auf Unterlassung in Anspruch genommen; sie leitet ihre Berechtigung daraus ab, dass ihre Redakteure und ihre freien Mitarbeiter ihr sämtliche Nutzungsrechte eingeräumt hätten. Da der elektronische Pressespiegel nicht unter die Ausnahmebestimmung des § 49 UrhG falle, lägen die Rechte hierfür beim Urheber bzw. aufgrund der Rechtseinräumung beim Verleger. Landgericht und Oberlandesgericht Hamburg hatten dem Verlag in dieser Einschätzung Recht gegeben.

Der Bundesgerichtshof hat dagegen die Entscheidungen der Vorinstanz aufgehoben. Der elektronische Pressespiegel unterscheide sich nicht wesentlich vom Pressespiegel in Papierform, solange gewisse Bedingungen eingehalten seien. Dabei ist der BGH davon ausgegangen, dass auch Pressespiegel, die auf herkömmliche Weise, also in Papierform, verbreitet werden, schon heute häufig durch Einsatz eines Scanners elektronisch erstellt werden. Die vom Oberlandesgericht zu Recht angeführte Gefahr des Mißbrauchs, vor allem die Gefahr, dass im Zuge der elektronischen Erstellung des Pressespiegels gleichzeitig ein zentrales elektronisches Archiv angelegt werde, bestehe unabhängig davon, ob der Pressespiegel in Papierform oder elektronisch übermittelt werde. Der Besorgnis, der Endabnehmer könne aus den ihm elektronisch übermittelten Pressespiegeln ein eigenes dezentrales Archiv aufbauen, lasse sich dadurch begegnen, dass die Pressespiegel nicht als Text-, sondern als graphische Datei, etwa im pdf-Format übermittelt würden. Außerdem müsse der Kreis der Bezieher überschaubar sein. Deshalb komme eine elektronische Übermittlung nur für betriebs- oder behördeninterne Pressespiegel in Betracht, nicht dagegen für kommerzielle Dienste.

Da noch nicht festgestellt ist, ob sich der elektronische Pressespiegel des streitgegenständlichen Frankfurter Unternehmens in diesen Grenzen hält, hat der Bundesgerichtshof die Sache an das Oberlandesgericht zur weiteren Klärung zurückverwiesen. Damit sind noch nicht alle zivilprozessualen Hindernisse beseitigt. Der VG WORT ist es formal nach wie vor verboten, Verträge über elektronische Pressespiegel abzuschließen. (Stand August 2002). Zunächst müssen also die zivil-prozessualen Voraussetzungen geschaffen werden, um die einstweiligen Verfügungen die nach dem Urteil des BGH offensichtlich nicht mehr haltbar sind zu beseitigen. Unabhängig davon laufen jedoch nach Angaben der VG Wort bereits Gespräche bzw. Verhandlungen über entsprechende vertragliche Regelungen (insbes. zur Höhe des Tarifs) für elektronische Pressespiegel im Rahmen des Pressespiegelparagraphen.

Urteil: Bundesgerichtshof, I ZR 255/00
Datum: 11. Juli 2002
Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs
 








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