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Wie Augmented Reality auch im Mobile Marketing erweiterte Ansichten schafft, zeigt der AR-Experte Markus Bokowsky.
Von Markus Bokowsky
Smartphones und zunehmend Tablets bringen alles mit, was nötig ist für die Nutzung von Augmented Reality: Kamera, GPS, WLAN, 3G- oder GSM-Ortung, Gyroskop und Kompass zur Bestimmung der Lage im Raum, leistungsstarke Prozessoren und Multitouch-Displays.
Zeitreise - Mit der App Ludwig II. den Wintergarten des Märchenkönigs wieder errichten.
Augmented Reality gibt es in zwei Ausführungen: positionsbasiert, das heißt, geocodierte Informationen werden am Standort eingeblendet, das Kamerabild mit computergenerierten Informationen wie Text, Bild, Videos, 3D-Modellen überlagert. Je besser die Positionsbestimmung gelingt, umso akkurater die Informationen. Die andere Variante setzt auf Mustererkennung im Nahbereich. Hier wird ein Objekt im Kamerafokus erkannt und Information über das Kamerabild gelegt. Verschwindet das Objekt aus dem Fokus, verschwindet auch die Information. QR-Codes werden manchmal zur zweiten Kategorie gerechnet. Im Unterschied zu QR-Codes, kann bei Augmented Reality jedoch jede Art von Bild oder Objekt als Muster verwendet werden. So entfällt die Bindung an die markante Form des QR-Codes. Doch muss dem Nutzer mitgeteilt werden, dass ein Motiv „augmented“ werden kann - und mit welcher App dieses zu scannen ist.
In der öffentlichen Wahrnehmung wird das Thema Augmented Reality auf mobilen Devices häufig mit sogenannten AR-Browsern verbunden, namentlich Layar, Junaio und Wikitude. Sie stellen, ähnlich einem Webbrowser, die Infrastruktur zur Verfügung, um eigene geocodierte Infos per Kanal darüber zu verbreiten. Für Marketingkommunikation im professionellen Umfeld kommen AR-Browser aber nicht in Frage. Denn man ist immer Untermieter auf einem fremden System, hat keine eigene App zum Promoten sondern nur einen Kanal, und ist in Funktionalität und Design sehr eingeschränkt, ;ine Offline-Nutzung ist auch nicht möglich. Wenn schon Augmented Reality im professionellen Marketing, dann mit eigener App. (Was Kanäle für die AR-Browser als „Abfallprodukt“ nicht ausschließt).
Wohin geht die Reise?
Handel
Store-Finder oder Service-Locator für große Handelsketten werden bereits vielfach angeboten. Es ist lediglich zu beachten, dass dies nicht das einzige Feature der App ist, sondern eine bestehende App gut ergänzt. Spannender sind rein virtuelle Stores. Mit AR ist es möglich, an Orten, die normalerweise nicht mit einer Marke in Verbindung gebracht werden, virtuelle Pop-up-Stores zu errichten. Bestimmte Produkte oder Rabatte gibt es nur dort. Ein schönes Beispiel für auf Mustererkennung basierende AR ist momentan bei Macy’s zu bewundern. Im Rahmen der alljährlichen Weihnachtsaktion „Believe“ können sich Kunden im Laden zusammen mit vier Figuren fotografieren lassen, die lediglich virtuell auf dem Display von Smartphone oder Tablet erscheinen. Ein Tab lässt sie verschiedene Posen einnehmen [1]. Durch Mustererkennung lassen sich reale Objekte virtuell erweitern. Ob es sinnvoll ist, hängt von Marke, Sortiment und Zielgruppe ab, aber speziell im Handel eröffnen sich spannende Möglichkeiten. Ein anderes aktuelles Beispiel: Starbucks „augmented“ in den USA (nicht nur) seine traditionellen Weihnachtsbecher. Werden sie mit der Starbucks-App gescannt, erwachen verborgene Weihnachtsfiguren zum Leben [2].
Print
In den letzten Monaten erschienen diverse Magazine in einer um AR angereicherten Version. Vorreiter im deutschen Markt war das Magazin der Süddeutschen Zeitung, wo man in der „Sagen-Sie-jetzt-nichts“-Reihe die Gedanken des abgelichteten Prominenten lesen oder sich die Auflösung des Kreuzworträtsels am Originalplatz drüberlegen lassen konnte [3]. Kürzlich reihte sich Stern bei AR ein. Erstmals wurden auch Werbepartner einbezogen; Anzeigen konnten um Bilder oder Videos erweitert werden. Der Bauer Verlag ist bereits in den „Regelbetrieb“ übergegangen, TV Movie und Welt der Wunder enthalten in jeder Ausgabe AR-Content. Bei TV Movie kann man sich Trailer der besprochenen Filme ansehen (inklusive Pre-Roll-Ads). Welt der Wunder erweitert kontextabhänig mit Filmen, 3D-Modellen oder 360-Grad-Panoramen [4].
Pre- und After-Sales-Service
Jegliche Art von gedrucktem Werbematerial eignet sich ebenfalls zur Augmentation per Mustererkennung. Im Unterschied zur Methode des QR-Markers, wo lediglich auf eine Website verwiesen werden kann, ist das Kamerabild hier weiterhin sichtbar. 3D-Modelle des Produkts können gar über dem Prospekt „schweben“. Die Anzahl der auf dem Smartphone darstellbaren Polygone ist allerdings noch beschränkt. Daher ist darauf zu achten, dass die zu verwirklichende Qualität des 3D-Modells dem eigenen Markenanspruch genügt. Was wiederum im After-Sales-Bereich möglich ist, zeigt Audi mit seinem AR-Bordbuch, der eKurzinfo für den A1. Anstatt im Bordbuch zu blättern hält man die Kamera des iPhones auf die Bedienelemente und eine audiovisuelle Erklärung wird eingeblendet [5].
Architektur
AR könnte sich als Lieblingsanwendung von Architekten herauskristallisieren. Endlich wird es möglich, geplante Bauwerke auch an den Originalplätzen zu visualisieren und zwar so, dass sich Auftraggeber und Öffentlichkeit mit einfachen Mitteln (Smartphone) ein Bild machen können. Einen ersten Eindruck vermittelt die App des Niederländischen Architektur-Instituts NAI [6]. AR-basierte Apps erlauben aber auch Visualisierung urbaner Geschichte und sollten damit im Bildungsbereich einen festen Platz finden. Beispiel: die App Streetmuseum des Museum of London, die Fotos historischer Gebäude im Zeitverlauf an der jeweiligen Location zeigt [7]. Einen Schritt weiter geht die App Ludwig II. der Bayerischen Staatsbibliothek. Hier wird zum ersten Mal 3D-Mustererkennung an realen Gebäuden eingesetzt. Hält man das Smartphone auf die Fassade der Münchner Residenz, wird der nicht mehr existierende Wintergarten Ludwigs II. als 3D-Rekonstruktion ins Kamerabild eingeblendet [8].
Spiele
Eine clevere Umsetzung zeigt Red Bull mit seinem Rennspiel fürs iPhone. Der Spieler kann mit Getränkedosen einen Kurs abstecken, der dann – nachdem er per Smartphone und Mustererkennung eingelesen wurde – mit einem Tourenwagen befahren wird [9]. Social-Media-Anbindung inklusive. Was aus einer Kombination aus realem und virtuellem Produkt gedeihen kann, lässt sich auch am aktuellen Lieblingsspielzeug der Szene beobachten: Parrot AR.Drone, ein realer Quadcopter, welchen man mit dem Smartphone steuert. Das Kamerabild der Drone wird dabei aufs Display übertragen. Hier setzt AR ein [10].
Campaigning
Zum Schluss noch ein Randthema, dass aber aufgrund seines partizipatorischen Charakters große Aufmerksamkeit erhalten könnte. Augmented Reality zusammen mit User Generated Content bildet jedenfalls ein explosives Duo. Bündnis90/Die Grünen haben im Berliner Wahlkampf eine AR-App entwickeln lassen, mit der die Bürger Missstände an Orten in ihrer Umgebung melden konnten. Alle Beiträge waren geocodiert für andere Nutzer sicht- und bewertbar [11]. Ein anders Beispiel: Occupy Wall Street. Mithilfe von AR-Browsern lassen sich reale Orte „übernehmen“ und mit symbolischem „virtuellem Content“ anreichern [12].
Fazit
Augmented Reality ist über das Stadium des modischen Trends hinaus, die Möglichkeiten sind vielfältig und nicht auf eine Branche oder ein Produktsegment beschränkt. Die spannendsten Anwendungen werden sicherlich nicht aus den klassischen Medien kommen, sondern völlig neue Nutzungsszenarien darstellen, die ohne Augmented Reality nicht möglich waren.
[1] http://www.youtube.com/watch?v=xvzRXy3J0Z0
[2] http://www.youtube.com/watch?v=RWwQXi9RG0w
[3] http://www.youtube.com/watch?v=YKN7G9X9pIU
[4] http://www.youtube.com/watch?v=KZS1Q3I0a9Q
[5] http://www.youtube.com/watch?v=DMg4UUCaQdw
[6] http://en.nai.nl/exhibitions/3d_architecture_app
[7] http://www.museumindocklands.org.uk/Resources/app/you-are-here-app/index.html
[8] http://www.youtube.com/watch?v=BZr_gGW5QOc
[9] http://www.redbullusa.com/cs/Satellite/en_US/001242961393131#/page/home
[10] http://ardrone.parrot.com/parrot-ar-drone/de/ar.games/ar-freeflight#AR.FlyingAce
[11] http://www.youtube.com/watch?v=gdlqtLVdTpw
[12] https://aroccupywallstreet.wordpress.com/
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Ein Gastbeitrag von Markus Bokowsky für die deutsche
Fachzeitschrift „LEAD Digital“ Ausgabe 24/2011. |
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